Aus dem Kurs: Projektmanagement: Risiko und Unsicherheit
Aus dem Kurs: Projektmanagement: Risiko und Unsicherheit
Claims und Claim Management
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Während wir uns bislang in diesem Video-Training vor allem mit Chancen und Risiken beschäftigt haben, möchte ich nun Ihre Aufmerksamkeit auf andere unliebsame Überraschungen im Projektverlauf lenken. Grundsätzlich können wir zwei Arten von Änderungen unterscheiden. Das sind zum einen Änderungen, die mit den Vertragspartnern abgestimmt sind, also den Change Requests. Jeder verabschiedete Change Request stellt quasi eine Erweiterung oder Änderung des ursprünglichen Vertrages dar. Es gibt aber auch notwendige Änderungen, die anfallen, ohne dass sich Vertragspartner dazu abstimmen konnten, zum Beispiel, auf Grund eines Unfalls, eines Lieferantenstreiks, technischer Probleme et cetera. Bei diesen notwendigen Änderungen sind die Ursachen und die daraus resultierenden Konsequenzen mitunter unklar oder sogar strittig. Welcher Vertragspartner muss für die damit verbundenen höheren Kosten aufkommen? Wie Sie sehen, treffen notwendige Änderungen mitunter auf Interessenskonflikte zwischen den Vertragspartnern. Aus diesem Konflikt heraus entstehen ungeplante Forderungen, die die Partner aneinander richten. Wir sprechen von Claims. "Ein Claim (Englisch Behauptung, Anspruch) bezeichnet im angelsächsischen Raum im Rechtswesen einen Rechtsanspruch". Mit der Größe eines Projekts steigt in der Regel auch die Größe und Bedeutung solcher Claims. Wenn Sie für Ihren Kunden ein Stromkraftwerk für zig Millionen Euro bauen, dann können solche Claims durchaus eine beachtliche Größenordnung erreichen. Insbesondere im Großanlagenbau findet man daher ein explizites Claim Management, das sich mit potenziellen und tatsächlich geltend gemachten Claims auseinandersetzt. Es gibt mitunter eine eigene Rolle des Claim Managers, einen expliziten Claim Prozess. Vielleicht haben die Vertragspartner sich im Vorfeld schon auf einen Claim-Klärungsprozess geeinigt, um im Falle solcher ungeplanten Änderungen Rechtsstreit zu vermeiden. Sind die Vertragsparteien nicht wohlgesonnen, so setzen Sie möglicherweise Claims ein, um sich Vorteile auf Kosten des Vertragspartners zu verschaffen. Ein Auftraggeber kann versuchen, durch Claims den Leistungsumfang zu erweitern, ohne dafür zu bezahlen, oder versucht durch Claims, den Preis zu drücken, Zahlungen zurückzuhalten. Ein Auftragnehmer kann wiederum versuchen, den Leistungsumfang zu reduzieren und damit seine Kosten zu senken oder zusätzliche Zahlungen zu erwirken. Vielleicht hat sich der Auftragnehmer in einer Ausschreibung als billigster Anbieter durchgesetzt und versucht nun, im Nachhinein durch Claims seine wirtschaftliche Position zu verbessern. Sie sehen ein spannendes und kniffliges Feld. Was sagen uns nun die Projektmanagementstandards zum Thema Claim Management? Nun, um ehrlich zu sein, relativ wenig. Im Wesentlichen wird Claim Management als Bestandteil des Vertragsmanagements gesehen. Im PMBOK (Project Management Book of Knowledge) wird das Claim Management als Unterpunkt in den Einkaufsprozessen gesehen und bei ICB sowohl beim Thema Konfiguration und Änderung, als auch im Vertragsmanagement. Dem agilen Projektmanagement läuft Idee eines Claims oder gar eines Claim Managements komplett zuwider. Geht man doch von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Beteiligten aus. Diese hehre Prämisse ist vielleicht auch eine Schwachstelle des agilen Projektmanagements. Leben wir doch nicht in einer idealen Welt, in der sich alle fair und anständig verhalten. Vielleicht brauchen Sie für Ihr Projekt kein explizites Claim Management. Aber ich möchte Sie gerne dafür sensibilieren, weil Claims als Risiken Ihr Projekt bedrohen und weil Claims mit Konflikten verbunden sind, zu Krisen führen können und Sie mitunter mehr beschäftigen können, als Ihnen lieb ist. Betrachten wir daher einmal, was zu einem Claim Management alles dazu gehört. Welche Inhalte hat ein Claim Management? Zunächst wäre da die Vertragsanalyse. Sie können bereits im Vorfeld einen Klärungsprozess mit Ihrem Partner vereinbaren, sich auf einen Mediator einigen, noch bevor es überhaupt eine erste Forderung gibt. Sie können den Vertrag auf Lücken untersuchen und sich wappnen oder sich mit Vertragsklauseln absichern. Der zweite Punkt ist die Umfeld- und Risikoanalyse. Natürlich sollten Sie das in Ihrem Projekt sowieso machen, aber die Themen Claim Management und Interessenskonflikte bringen hier noch einmal eine spezielle Perspektive hinein. Claimerfassung und Dokumentation, dieser Punkt kann sehr weit gehen. Vielleicht erfassen Sie möglicherweise Claim-relevante Vorfälle schon im Vorfeld, noch bevor ein Claim angemeldet wurde. Sie dokumentieren beispielsweise den Verzug eines Lieferanten, um die Verantwortung und Konsequenzen gegebenenfalls auf andere übertragen zu können. Wie sieht das mit den Mitwirkungspflichten Ihres Vertragspartners aus? Ist er immer seinen Verpflichtungen nachgekommen oder trägt er möglicherweise eine Mitschuld und ist mitverantwortlich für einen Claim. Ähnlich wie im Risikomanagement können Sie auch Claims bewerten bezüglich ihrer Tragweite und ihrer Durchsetzbarkeit. Ihr Vertragspartner kann zwar Claims anmelden, aber gegebenenfalls muss er sie auch vor Gericht durchsetzen können. Und selbst, wenn sie keine Schuld trifft, besteht die Gefahr, dass vor Gericht auch eine vermeintlich unberechtigte Forderung durchgesetzt werden kann. Dazu gehört ein Abwägungsprozess. In der Regel sind die Vertragspartner weiter aufeinander angewiesen, insbesondere, wenn das Projekt noch läuft. Wenn Sie aus Ihrer Abwägung heraus zu dem Schluss kommen, eine Forderung durchsetzen zu wollen, müssen Sie einen Claim zunächst bei Ihrem Vertragspartner anmelden. Aber auch hier kann taktisches Kalkül zum Zuge kommen, Vielleicht wird ein Claim nur angemeldet, um für ganz andere Fragestellungen eine bessere Verhandlungsposition zu haben. Solch ein Kalkül kann also auch zur Claimabwehr angesetzt werden. Aber selbstverständlich gehört hier weit mehr dazu als solche taktischen Spitzfindigkeiten. Sie werden eine Argumentation für oder gegen einen Claim aufbauen, Belege suchen et cetera. Sie werden mit Ihrem Vertragspartner in Verhandlung treten. Dies kann im besten Fall partnerschaftlich erfolgen. Sie müssen Ihren Partner ja über den Tisch ziehen und mit ihm streiten. Claims sind ja eigentlich ungeplant und so müssen Sie sich zumindest gemeinsam damit auseinandersetzen, wenn solche ungeplanten Änderungen eintreten. Nur im Worst Case, wenn Sie sich nicht einigen können, kommt es möglicherweise zu einem Rechtsstreit. Aber bedenken Sie auch hier, welche Auswirkung ein Rechtsstreit auf den weiteren Projektverlauf haben kann. Was nützt es Ihnen, Recht zu bekommen, wenn damit die Grundlage für Ihre weitere Arbeit entfällt? Sie haben nun eine erste Einführung in das Thema Claims und Claim Management bekommen. Natürlich wünscht sich jeder von uns nicht, mit Claims konfrontiert zu werden, aber für den Fall der Fälle sollten Sie gerüstet sein und ohne Misstrauen schüren zu wollen, nicht immer sind sich Vertragspartner wohlgesonnen.
Inhalt
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- Willkommen zu “Projektmanagement: Risiko und Unsicherheit“ 1 Min. 21 Sek.
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- Was sind Risiken und Chancen? 6 Min. 6 Sek.
- Was sind Risikomanagement und Chancenmanagement? 4 Min. 52 Sek.
- Einstellung zu Risiken 4 Min. 11 Sek.
- Strategien im Umgang mit Risiken 3 Min. 52 Sek.
- Die Kosten des Risikomanagements 2 Min. 48 Sek.
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- Der Risikomanagementprozess nach PMBOK 3 Min. 45 Sek.
- Der Risikomanagementprozess nach ICB und PRINCE2 1 Min. 57 Sek.
- Risikomanagement im agilen Projektmanagement 3 Min. 50 Sek.
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- Risikobeschreibung und Risikoregister 3 Min. 6 Sek.
- Eine Risikosystematik 2 Min. 35 Sek.
- Risikobewertung und Risikomatrix 3 Min. 55 Sek.
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- Claims und Claim Management 7 Min. 14 Sek.
- Werkzeuge für das Claim Management 3 Min. 21 Sek.