Für einen kurzen Moment bleibt Kunstliebhabern hier das Herz stehen: Der Münchner Obelisk, der einzige antike Obelisk auf deutschem Boden, liegt zertrümmert auf der Freitreppe zum Haupteingang. Viele Jahre lang stand er als Wahrzeichen vor dem Ägyptischen Museum in der Residenz im Hofgarten. Im Neubau an der Gabelsberger Straße sollte er aus konservatorischen Gründen im Museum stehen. Und jetzt? Sieht es aus, als sei er nach der Restaurierung beim Transport ins Museum kaputtgegangen.
Obelisk zertrümmert: Wie es dazu kam
Restaurator Michael Pfanner erklärt, wie es dazu kam: "Wir haben den originalen Obelisken dagehabt, damit wir ihn in der Werkstatt restaurieren. Parallel dazu hätten wir eine Kopie machen sollen und dann ist uns die Kopie so gut gelungen, dass wir nicht mehr gewusst haben, was ist Kopie und was ist Original." Daraufhin hätten sie einfach einen von beiden genommen und umgeworfen, damit er älter aussieht.
Mit seinem Westallgäuer Dialekt klingt Firmenchef Michael Pfanner wahnsinnig authentisch, in Wahrheit weiß man gar nicht, wer ihn da mehr inspiriert hat: Baron Münchhausen oder Till Eulenspiegel? Denn natürlich liegt hier nicht das Original, sondern die Kopie des Obelisken auf der Treppe. Die Idee zur Kunstaktion kam vom Restaurator selbst: "Wir tun am laufenden Band Sachen reparieren und jetzt haben wir uns gedacht, machen wir mal was kaputt."
Ein Schelmenstreich à la Till Eulenspiegel
Im Rahmen eines großen Sommerfests wurde der Obelisk feierlich und unter Trommelwirbel zu Sturz gebracht. Mehr als 2.000 Stunden Arbeitszeit stecken in der Kopie mit all ihren Hieroglyphen und Ornamenten, gemeißelt in rötlich schimmernden finnischen Granit: Sechs Meter hoch, 4.000 Kilogramm schwer. Um die Freitreppe vor dem Museum nicht zu beschädigen, wurde der Obelisk nicht vor Ort, sondern auf dem Firmengeländer der Dr. Pfanner GmbH umgekippt. Der Umsturzversuch gelang sogar besser als gedacht, der Obelisk brach an mehr Stellen als erwartet.
Arbeit an der Replik des Obelisken
Spaß und Ernst vermischen sich in dieser Kunstaktion, denn der Umgang mit Kopie und Original spiele im Museums- und Restaurierungsalltag eine wichtige Rolle, sagt Pfanner. Der nachgemachte Obelisk sei ja auch ein Original, auch handgemacht, so ähnlich wie früher: "Der Wechsel zwischen Original und Kopie ist eine ganz heikle Frage, das kann man auch nicht immer genau entscheiden und die Kunstaktion spielt praktisch damit, und die Leute können darüber nachdenken."
Umsturzversuch gelungen – Der Obelisk brach wunderschön
Für Besucher sieht es nun so aus, als hätten die Kuratoren entschieden, den Obelisken so zu präsentieren, wie man ihn einst gefunden hat: in Trümmern am Boden.
Arnulf Schlüter, Direktor des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst im Museum: "Das soll die Besuchenden, noch bevor sie ins Museum kommen, so ein bisschen fordern und zum Nachdenken anregen und auch durchaus die Frage aufwerfen: Liegt da jetzt ein Original? Liegt da eine Kopie? Was ist das eigentlich?"
Eine Nonsens-Inschrift aus dem 18. Jahrhundert
Der Münchner Obelisk ist für solcherlei "ernsthaften Schabernack" übrigens hervorragend geeignet. Schon im 18. Jahrhundert wurde der antike Mittelteil in Rom um eine Art Quatsch-Inschrift erweitert, erklärt Schlüter: "Da steht einfach nur drauf: 'Titus Sextius Africanus hat ihn...'" und dann bricht diese Inschrift ab, zu ergänzen ist wahrscheinlich 'aufgebaut' oder 'errichtet'." Dieses Mittelstück, das tatsächlich antik ist, sei dann um eine Spitze und einen Fuß ergänzt worden. Die Hieroglyphen, die paar wenigen, die sich darauf befinden, habe man damals einfach aus grafischen Gründen hinzugefügt, weil man die Hieroglyphen noch gar nicht lesen und entziffern konnte. Diese Teile der Inschrift ergäben überhaupt keinen Sinn.
Mit Kindern und Gästen kann man künftig selbst zum Baron Münchhausen werden und sich immer wieder neue Geschichten rund um das Kunstwerk ausdenken. Sind die Bruchstücke nicht vielleicht bei den Grabungsarbeiten zum Bau des Museums zum Vorschein gekommen? Waren die Ägypter in München?
Wer ganz sicher sein will, dass hier nicht nur ein Unglück schöngeredet und der originale Obelisk vielleicht doch kaputtgegangen ist, dem bleibt nur eines übrig: ein Besuch im Museum.
Der rätselhafte Obelisk in Trümmern ist ab sofort auf der Freitreppe zum Ägyptischen Museum im Münchner Museumsviertel zu sehen.
Bildrechte: Julie Metzdorf
Bildbeitrag
Umsturzversuch gelungen: Die Replik des Münchner Obelisken ist noch schöner gebrochen als gedacht
Dieser Artikel ist erstmals am 26. Juni 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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